Ankunft in Marokko. Was der nordafrikanische Mann alles kann.

Blöde Reaktionen der Menschen vor dem Losfahren:
Platz drei: Als blonde Frau. Na, viel Spaß.
Platz zwei: Da beklauen sie dich.
Platz eins: Lass dich nicht antanzen.

Gehirne, denkbar ungeeignet fürs denken.

Angeblich muss das Gehirn eines Menschen nur oft genug die selbe Information hören, um sie zu glauben, selbst wenn die Information nicht stimmt. Sogar, wenn man eigentlich weiß, dass die Information nicht stimmt, merkt sich das Gehirn trotzdem, was es will. Nämlich alles, was oft genug gesagt wird. Das ist echt schlimm. Wenn man das nicht weiß, dann glaubt man ja am Ende wirklich das, was man glaubt und weiß gar nicht mehr, dass man es nur glaubt, weil man es glaubt.
Das menschliche Gehirn ist überhaupt nicht zum Denken geeignet.
Ich habe in letzter Zeit oft genug etwas über den „nordafrikanischen Mann“ gehört. Das ist nicht spurlos an meinem Gehirn vorbei gegangen. Davon abgesehen, dass natürlich ängstliche Menschen auf meine Reisepläne immer mit Ängsten reagieren und geübte Reisende einfach viel Spaß wünschen und einen beneiden.

Nun bin ich hier und kann selbst sehen, wie es aussieht, fühlen, wie es sich anfühlt und hören wie es sich anhört.
Hier nun die erste beruhigende Information von vielen für eure Gehirne: nach vier Tagen noch nicht einmal angetanzt worden.

Warum Marokko?

Meine Freundin Anne wohnt in Marokko und ja, wir haben ihr geschrieben, dass wir kommen, hipp hopp.
Anne arbeitet dort. Sie arbeitet immer mal hier und dort. Sie hat auch schon in Marseille gelebt, wo sie ihren Mann Pierre kennen gelernt hat. Danach waren sie zusammen in Syrien, von 2002 bis 2005.
In Berlin haben sie zwei Töchter bekommen und jetzt sind sie für die nächsten Jahre in Rabat.
Klar fahren wir sie besuchen. Sie haben gerade Urlaub und wollen auch ihr neues Land erkunden. Die Kinder verstehen sich gut. Die Männer auch. Darum sind Kind und ich diesmal nicht allein unterwegs. Sondern mit Mann genanntem Mann.

Reiseflirt

Im Flugzeug findet das Kind einen neuen Freund. Er hat auch eine Schwester, aber mit der funkt es nicht. Er ist aus Casablanca. Sie können nicht viel reden. Die Mütter übersetzen. Der Rest ist Fratzen machen. Am Ende steht ihnen der Liebeskummer ins Gesicht geschrieben.

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Beruhigende Information Nummer zwei: Diese Familie war sehr, sehr nett. Gut, sie waren nicht der nordafrikanische Mann, aber einer davon wird mal einer.

Die subjektive Marokko-Expertin

Vom Flughafen in Casablanca werden wir von Iva, einer Kollegin von Anne abgeholt und zu Anne nach Hause gefahren. Die Kollegin ist eine gebildete, sehr gepflegte Frau. Sie lebt schon lange in Marokko und ist gespannt, wie wir das Land finden werden, das sie zu gut kennt und darum gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Sagt sie.
Der blinde Fleck, in dem man lebt.
Sie erzählt über die jungen Männer im Land und sagt, dass seien alles keine Klischees.
Schnell noch eine beruhigende Information für euer Gehirn: Ich bin in den ersten Tagen hier weder belästigt noch behumst worden. Zumindest nicht mehr als in Thailand oder Indien.
Annes Kollegin erzählt, dass die jungen Männer, die das Land verlassen wollen, Frauen verliebt machen und dass sie das gut könnten. Sie heiraten sie und machen ihnen Kinder. Und dann verlassen sie die Frauen. Oder sie schicken die Frauen nach Marokko und dort können die Kindergeld für die Kinder bekommen. Also ein marokkanischer Mann, der in Deutschland lebt, kann für seine Kinder mit einer deutschen Frau Kindergeld bekommen, auch wenn diese in Marokko leben. Sagt sie.
Beruhigende Information für euer Gehirn: Die meisten Marokkaner heiraten Marokkanerinnen und bleiben in Marokko. Die kommen nicht alle nach Deutschland. Die sind alle in Marokko!
Wenn einer der beiden Sätze überhaupt wahr ist, dann der zweite. Und trotzdem sind beide falsch.
Aber wirklich, die meisten Marokkaner sind hier und wollen gar nicht weg.

Auf der Fahrt nach Rabat ist viel Zeit und viel zu erzählen.
Das Kind schläft ein, obwohl es sich auf die Freundin freut. Die Freundin aus Afrika.
Iva sagt, dass Marokko nicht zu Afrika gehört. Sagen Marokkaner und Marokkanerinnen.
Wenn einer der beiden Sätze richtiger ist dann der zweite.

Draußen ist eine sehr ordentliche Autobahn. Leider ist es dunkel. Mein erster Eindruck von dem Land ist ein erzählter. Und ein paar Silhouetten von Palmen. Die Straße ist sehr gut, gepflegt, mit Pflanzkübelspalier, aber was sagt das schon aus? In Diktaturen gibt es oft sehr ordentliche Straßen und Städte.

Unverheiratete und gottlos und jetzt auch noch verlogen
Iva fragt, ob wir verheiratet seien. Der Mann und ich sind nur so Mann und Frau. Das Kind ist nicht mal von ihm. Es ist ein Beutekind (sagt man neuerdings so. Eine feine Formulierung).
Wir sollten lieber überall sagen, dass wir verheiratet sind und das Kind unser Kind.
Ich freu mich nicht drauf, dem Kind am nächsten Tag erklären zu müssen, dass es so tun soll, als wäre der Mann ihr Papa. Das ist doch Scheiße, jemand anderen darzustellen in einem anderen Land. Oder ist das dieses: „Die sollen sich hier an die Regeln halten, wenn die herkommen?“
Hm.

Außerdem sollen wir nicht über den Islam reden. Gar nicht über Gott, aber wenn wir gefragt werden würden, dann sollten wir sagen, dass wir Christen sind, denn nur Atheisten wären noch schlimmer. Oder Vielgötterei.
Das heißt, dass die Toleranz nur innerhalb ihres Systems tolerieren kann.
Ein anderer Gott geht noch gerade so.
Ich habe seit meiner Indienreise meinen neuen Lieblingsgott am Rucksack hängen. Ganesha, denn er ist der Überwinder aller Schwierigkeiten und ich mag ihn. Entweder geht der Gott mit dem Elefantenkopf um Schwierigkeiten drumherum oder er schiebt sie mit seinem Rüssel weg oder sein kleines Reittier die Maus sucht ein Schlupfloch.
Die Maus ist bei dieser Schwierigkeit ganz klar dafür, dass ich den Anhänger vom Rucksack nehme.
Ich bin ein kluges Weichei.

Platz da! Erfahrungen kommen!

Hier wieder eine gute Information für eure Gehirne: Als wir am Haus von Anne ankommen, rennen vier fünf Hunde bellende neben dem Wagen her.
Iva verflucht sie und schimpft auf den marokkanischen Gärtner von Annes Nachbarn. Der füttert die Hunde (ich glaube, sie sagt Köter), obwohl sie im Islam als unrein gelten.
Ich mag den marokkanischen Gärtner. Und Hunde sowieso.
Ich denke an Indien und mit welcher Gelassenheit Hund, Schwein, Kuh und Kamel, sogar Taube im Stadtbild erlaubt waren, einfach weil sie eben da sind, oder die Wiedergeburt von Oma.
Dass sie Tauben gefüttert haben, weil es gut fürs Karma ist.
Waren nicht sogar die Hunde friedlicher? Weil niemand nach ihnen tritt?
Bilde ich mir das ein?
Was macht den Menschen friedlich und was nicht?
Wie viel hat die Religion des Landes damit zu tun?
Ich muss sehr, sehr wachsam sein, was ich hier erlebe und was ich nur hinein deute.
Ich will die fertigen Bilder von anderen nicht.
Weg damit.
Platz für meine Erfahrungen hier.
Was werde ich nach dieser Reise einem anderen Menschen erzählen, wenn ich eine halbe Stunde Zeit habe, über Marokko zu berichten? Was ich erzählen würde, wenn ich viele Jahre in Marokko gelebt hätte werde ich nicht herausfinden.
Ich bin gespannt.

8 Kommentare

  1. Ich sitze hier und grinse. Warum? Ja, weil es so ist in „diesen“ Ländern 🙂 In Marokko war ich jetzt noch nicht, aber in Tunesien und schon öfter in Ägypten.
    Und auch in anderen islamischen Ländern (alles vor der Zeit mit unseren Kindern)
    Ich bin selten so zuvorkommend als Frau behandelt worden wie in diesen Ländern. In Ägypten hatte ich mal einen Kreislaufzusammenbruch, ich lag zu Füßen der Sphinx und alle wollten helfen – Getränkehändler spendeten das Eis aus ihren Eimern und jeder war besorgt, nur keiner hat mich angefasst, auch in der Situation nicht, erst wurde mein Mann gefragt „Darf ich sie berühren“.
    Natürlich kann es auch anders sein. In Tunesien wollte uns ein Straßenhändler übers Ohr hauen, grr mein Mann ist so gutgläubig, er wollte mit dem Wechselgeld abhauen, da berührte ICH den Mann, nun ja ich legte ihm Daumenschrauben an und meine Fingernägel bohrten sich in Fleisch, er war panisch, weil er das nicht erwartet hatte, er wusste diese verrückte frau lässt erst los wenn er das Geld raus rückt.
    Und ja, Marokko ist nicht Afrika, so wie Ägypten auch eine klare Grenze hat, in Assuan fängt „schwarz Afrika“ an und ab dort leben die Nubier, die auch ganz anders aussehen und eine komplett andere Mentalität haben wie das arabisch geprägte Nordafrika.
    Das mit dem „Gott-Ding“ habe ich auch gelernt, denn gegenüber einem Kopten habe ich mich als Ungläubige geoutet und er war so fassungslos, er konnte sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt die NICHTS glauben, das ist mir übrigens hier in Deutschland auch schon passiert, hihi.
    Geniest das wundervolle Nordafrika, die gastfreundlichen Menschen und ein bisschen Anpassen ist doch okay, das erwarten wir ja auch von Menschen die in unser Land kommen.

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    • Kirsten Fuchs4. März 2016 um 20:39

      Hallo Martina,
      danke für deinen langen Kommentar. Das sind ja mal Erlebnisse. Zusammenbruch zu Füßen der Sphinx! Schade, dass mir da nicht passiert ist, denn da hätte ich gern drüber geschrieben.
      Unser Fahrer heute stammt aus Mali, er sagt zu jeder Gelegenheit „Afrika, Afrika!“ Wir sind hinter dem Atlas-Gebirge jetzt und hier ist es schon deutlich merh „Afrika, Afrika!“
      liebe Grüße, Kirsten

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  2. Beutekind ist ja ein furchtbarer Begriff. 🙂
    Ich habe auch ein erbeutetes Kind.
    Anyway, neudeutsch halt. Viel Freude in Marokko und viele tolle Erlebnisse.

    Liebe Grüße
    Nina

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    • Kirsten Fuchs4. März 2016 um 20:34

      Ich finde Beutekind lustig. Immerhin bedeutet das ja, dass der „Räuber“ es haben wollte. Es also nicht stört oder so. Es klingt viel weniger stiefmütterlich bzw. stiefkindlich.
      Liebe Grüße zurück
      Kirsten

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  3. Liebe Kirsten, mich treibt, seit ich gestern erstmals diesen Blog las, ganz doll der Neid um. Meine Tochter wurde im letzten September eingeschult, und ich habe es nicht geschafft, mit ihr solche grandiosen Reisen zu wagen. Ein Aspekt interessiert mich besonders, weil meine Tochter seit Monaten die Haustierfrage diskutiert (und wir zu ihrem Leidwesen keins haben, auch weil ich es kaum schaffe, unsere eine und einzige Blume am Leben zu halten): Wo bleibt der Hund? Aber dies nur nebenbei. Ich wünsche viele eigene Erfahrungen und freue mich, dass die Welt immer wieder und immer noch genug Schönes/Aufregendes bereithält. Neidische Grüße Silke

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    • Kirsten Fuchs7. März 2016 um 11:44

      Hallo Silke, falls es deinen Neid beruhigt: jetzt gerade sind wir beide krank und die Tochter will nur nach Hause. Es ist nicht nur schön, aber meißtens. Der Hund ist bei einem Freund. Für die Tiere findet sich doch immer jemand. Es gibt auch Nachbarschaftsportale, wo sich alte Omis freuen, mal zwei Wochen einen Hund zu haben. Normalerweise kommt mein Mann ja nicht mit auf Reisen und ist zuhause beim Hund. Da er diesmal mit ist, macht der Hund auch Urlaub. Die Wohnung ist an einen Bekannten untervermietet. Das hat alles richtig gut gepasst diesmal. Ich finde BLumen ind er Haltung schwieriger als Hund oder Katze. Die sagen ja Bescheid, wennn sie Hunger und Durst haben. Blumen miauen ja nicht. Liebe Grüße, Kirsten

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  4. Anna Hannah10. Februar 2017 um 18:42

    Hallo Kirsten,
    mich interessiert, warum auf dem Foto, das den Reiseflirt deines Kindes illustrieren soll, die beiden anderen Kinder recht deutlich zu sehen sind, deines sich aber elegant hinter einem Reisepass versteckt? Sicher soll allzu große Öffentlichkeit für dein Kind vermieden werden, aber warum gilt das nicht auch für die 2 anderen?
    Ciao, Anna Hannah

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  5. „Der Mann und ich sind nur so Mann und Frau. Das Kind ist nicht mal von ihm. Es ist ein Beutekind (sagt man neuerdings so. Eine feine Formulierung).“ Ich mag, wie du schreibst.

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