Istrien. Ausblick mit Schlucht.

Wir sind in Pazin, Istrien, Kroatien, Europa, Welt, Universum. Am Leben.


Es gibt Gründe, warum ich so lange nicht gebloggt habe.
Im Prinzip sind es mehrere Zähne.

Der eine Zahn war wirklich ein Zahn. Er musste der Tochter gezogen werden. Dazu waren mehrere Zahnarzttermine nötig. Das ist eine Slapstickkomödie für sich. Darüber werde ich eher nichts schreiben.
Der andere Zahn ist eine Kitageschichte. Der musste wohl auch raus. Darüber will ich nicht schreiben.
Der nächste Zahn ist ein Verdacht und eine Diagnose. Darüber kann ich noch nicht schreiben. Es ist neu und groß.

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Ein paar Dinge waren nicht in Ordnung.

Unsere Weltreiserei war am Alltag gestrandet.
Jetzt haben uns die Wellen wieder wegspülen und der Auftrieb erfasst uns.

Letztes Jahr bereits habe ich mich um ein Stipendium vom Goethe Institut beworben, genau mit diesem Projekt: Reisen mit Kind, bevor die Schule losgeht.
Nun sind wir hier. Wir haben ein Häuschen. Wir nennen es „unser Häuschen“ und lieben es sehr. Unten lebt ein Krebs unter der Waschmaschien. Schaltet man das Licht ein, rennt er weg. Er darf bleiben.

Ein paar Tage später rennt mir der Bursche nochmal über den Weg und ich habe einen Verdacht. Ich frage Tante Internet. Tante Internet bestätigt, dass es in Kroatien Skorpione gibt. Sie sind nur mittelgiftig, wie Wespen ungefähr und sie haben kein Bock auf Ärger. Unser Krebs, der ein Skorpion ist, rennt in den Besen und da ist er auch nicht rauszubekommen. Wir haben noch zwei weitere Besen. Gut, soll er da wohnen. Der Besen steht unten auf der Terrasse.

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Wir sind Glückkese, haben wir am ersten Tag immer wieder gejubelt.
Alles ist anders als vorgestellt. Ich weiß gar nicht, warum ich mir immer etwas vorstelle.
Immernoch kann ich das Haus sehen, an das ich die ganze Zeit gedacht habe. Ob es dieses Haus irgendwo gibt? Diese Frage ist verwandt mit der Frage, ob irgendwo eine Frau das Leben führt, von dem ich dachte, dass ich es mal führen würde. Wer führt mein Leben? Und wieso führe ich es nicht? Vielleicht führe ich es ja. Vielleicht will ich es ja wirklich so wie es ist.

Führt ihr euer Leben?

Vor dem Balkon des Häuschens ist eine Schlucht. Das ist eine Frage der Wahrnehmung, ob etwas ein Ausblick oder ein Abgrund ist. Hinter einer dünnen Membran der Wahrnehmung wartet stets das Gegenteil. Alles hat nur eine gedachte Grenze. Das ist erst beängstigend und dann ist jede Angst weg. Wer soll das denn verstehen? Jedenfalls: Eine Aussicht, ist auch ein Abgrund.

Vermutlich ist mir so denkerich (wie das Kind es nennt) zumute, eben weil diese tiefe Schlucht vorm Fenster ist.

Über diesen Abgrund kann man mit einer Zipline sausen. Es kommen mehrfach am Tag Touristen angeflogen. Die mit den erleichterten Gesichtern, die mit ganz großen Augen, die Yeah rufen, die Whooo rufen.

Sie alle überwinden ihre Ängste, den Abgrund und die Langeweile. Sie sind die Sieger, denn sie haben Geld und Mut, um so etwas zu tun.

Einer der Typen von der Zipline sagt zu mir, dass ich umsonst über die Schlucht fliegen darf. Denn wir sind jetzt Nachbarn.  Er heißt Toni. Wir sagen morgens „Dobar Dan, Toni“, wenn er angeflogen kommt und neben unserem Balkon landet. Sicherlich sprechen wir es komisch aus. So wie wenn jemand „Gurken Tag!“ sagt. Toni steht oft auf der Plattform neben dem Haus und klickt die Leinen der Menschen um, Karabiner ab, Karbabiner ran. Er macht keinen Fehler.

„Ich will“, sage ich, „aber sie überlegt noch.“ Die Tochter sagt mal ja, mal nein, morgen mach ichs, ach nee doch nicht, übermorgen.

In ein paar Tagen kommt der Mann nach. Dann mach ichs. Denn wenn ich über die Schlucht sause, ist die Tochter allein auf der anderen Seite, wenn sie sich doch nicht traut. Obwohl sie sagt, dass das ok. ist, weil sie dann buddelt. „Auf keinen Fall“, sage ich und finde das viel krasser, als über die Schlucht zu sausen, dass sie auf der anderen Seite buddelt.

 

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Dieser Ort ist klein und wie immer fühle ich mich sofort sicherer als zuhause, wo alles voller Sorge und Bedenken ist. Die Türen stehen auf, denn nur so kann der Wind durch das kleine Haus. Das Kind geht allein auf den Spielplatz um die Ecke. Sie kennst sich schon jetzt gut in der kleinen Stadt aus, sagt „Dobro dan, Kuala“ und „Ugodan Dan“. Das macht sie toll.

Außerdem geht sie alleine Katzen füttern. Gut möglich, dass ihr bald alle Katzen folgen. Und wie eigentlich immer, wenn ich mit ihr verreise: alle kennen sie und wissen auch recht bald, was sie für eine ist. Das ist schön, dass sie so ist, aber für mich, scheu und schüchtern oft anstrengend. Ich muss viel mehr Kontakt zu Menschen haben, als ich freiwillig hätte. Mir darf nicht alles peinlich sein, wie es mir am liebsten wäre. Sie ist ein bisschen, als müsste man einen sehr ungewöhnlichen Hut tragen.

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Bevor wir über die Schlucht drüberfliegen, steigen wir erst einmal hinab.

Drüber und sich überwinden oder runter und alles erforschen. Eine Typfrage? Meine Entscheidung ist klar. Ich will alles wissen, von links, von rechts, von oben und von unten. Wir stiegen hinab. Es ist schattig und kühl. Von drei Perspektiven sehen wir unser Häuschen. „Da ist es“, sagen wir und es ist jetzt schon schön, mal länger irgendwo zu bleiben und den Ort zu durchdringen.

Das Kind spielt die ganze Zeit. Alles ist irgendwas, nichts ist nichts. Wir müssen die Brücke reparieren, den Schatz finden. Ein Draht ist ein Schlüssel, sie sucht die Pforte. Manchmal macht es mich rammdösig, denn ich bin erwachsen. Manchmal gehe ich voll mit und denke, dass der Spieltrieb auch in den Großen groß ist und ich kein Stück anders war. Und bin?

Sie jammert nie, sie ist nie erschöpft oder gelangweilt. Sie ist meine allerliebste Reisebegleitung. Auch wenn ich nicht immer wissen will, warum der Zwerg den Schatz versteckt hat. Dafür will sie auch nicht immer wissen, was auf den Schildern steht. „Vielleicht, wenn wir wieder hochkommen“, sagt sie dürfte ich ihr die Schilder vorlesen. So war es dann auch.

Auf einem Schild steht die Geschichte der Schlucht.

Ein Riese hat mit einem riesigen Ochsen und einem riesigen Ochsenkarren zwei Flussbetten durch Istrien gepflügt. Dragonja, nach dem Riesen benannt. Mirna, nach seiner Frau. Und beim dritten Fluss kam es zu einem Zwischenfall: er wurde von der Burg in Pazin hinab aufgelacht, weil die Furche schief geraten sei. Da brach der Riese die Arbeit ab. Die Furche lief voll Wasser und Pazin drohte überschwemmt zu werden. Das Volk bat den Riesen um Erbarmen. Diese trat daraufhin einmal kräftig gegen den Fels. Eine Öffnung entstand und das Wasser floss ab. Diese Öffnung ist, wenn auch sehr weit unten, direkt unter unserem Häuschen. Mich beeindruckt das tief. Das Kind sagt, das stimmt nicht und denkt sich weiter eigene Sachen aus, die auch nicht stimmen.

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„Da hat der Riese reingetreten.“

Unten in der Schlucht, fließt ein Bach. Wir finden einen Soldatenknopf mit Stern drauf. Ich denke an die Soldaten, die sich an dieser Stelle gewaschen haben, rasiert, gegessen.

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Weiß jemand zufällig von welcher Uniform, welcher Armee dieser Knopf ist?

Wir bauen Staudämme, leiten um, bis das Wasser ein anderes Geräusch beim fließen macht. Das Pferd braucht eine Brücke, der Friseur ein Haus und eine Treppe. Auf dem Dach eine Rasierklinge, die wir auch im Bach gefunden haben. „So hat man sich früherzutage rasiert“, sagt das Kind.

Wir raten welches Geräusch der Stein machen wird, wenn er ins Wasser taucht.

Plitsch, Glongsch, Plappsch und werfen einen Stein um den anderen ins Wasser.

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Wir sind lange da unten und klettern herum. Aus Ästen ein großes X gelegt, in der Hoffnung es vom Balkon aus zu sehen. Das hat nicht geklappt.

Wo das Wasser im Fußabdruck des Riesen verschwindet, kommt man ohne Führung nicht weiter. Kind will nicht. Also werde ich es allein mache, wenn der Mann da ist. Hinab, noch tiefer. Hinauf, noch höher. Und drüber, nur so zum Spaß.

Eine Schlucht ist etwas tolles.

 

2 Kommentare

  1. Wow, was eine Aussicht, ich bin ja nicht schwindelfrei, gar nicht, 3 Meter sind mir schon zu hoch, haha, der Skorpion hält Euch sicher Ungeziefer fern und schön, dass er bleiben darf
    LG
    Martina

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  2. hui, ihr seid wieder da. Ich freue mich, dass es euch (wieder) gut geht. Dass ihr (wieder) reiselustig seid. Habt noch eine schöne Zeit in Istrien, lasst euch nicht pieksen und freut euch auf das Kribbeln beim „Rübersausen“. Vorfreude. Und Erleichterung!

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