Titicacasee. Wo die schwimmenden Inseln schwimmen.

Die Urus haben sich ihre eigenen Inseln gebaut. Aus Totora-Schilf. Das kann man sich als Tourist ansehen und dann rumnölen. Oder wie wir begeistert sein.

Völker hört ihr die Signale

Ich liebe es Völker und ihre Bräuche kennen zu lernen. Das fühlt sich für mich an, als wäre ich in einem Buch, und was gibt es schöneres, als in einem Buch zu sein?
Ich mag die verschiedenen Völker von Herr der Ringe, die Völker aus Elli im Wunderland. Was sie essen, wie sie trauern, was sie anziehen und womit sie handeln. Wie sie auf Partnersuche gehen und wie sie ihre Kinder erziehen.

Als Kind habe ich mir Länder ausgedacht. Ich habe mal mit dem großartigen Ahne darüber geredet. Der hat sich auch Länder ausgedacht, Umrisse, Kriege, Geschichte. Bei mir war es immer mehr Kleidung und Gebäude, Feuerstellen und Teppichmuster. Die realen Völker dieser Erde stehen den ausgedachten in nichts nach, was Skurrilität und Aberwitz angeht.

Manchmal befürchte ich, dass ich aufwache und alle Völker nur geträumt habe.

Die Urus kennen alle, die sich mit Peru beschäftigt haben. Die mit den Schilfinseln auf dem Titicacasee.

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Angeblich sind sie seit 1958 ausgestorben. Ich stelle mir vor, wie der letzte Uru auf einem Schilfbett liegt und seine sonnengebräunte Hand in die Höhe hält. Dann fällt sie aufs Schilflager. Es raschelt.
Die 2000 Nachfahren leben teilweise auf den Schilfinseln. Eine verwirrende Info aus dem verwirrenden Internet. Wie können sie ausgestorben sein und Nachfahren haben? Kann mir das jemand erklären? Was ist ein echt existierendes Volk? Sind wir nicht alle ausgestorben? Beziehungsweise, wie mein Kind Inka sagte: „Alle Menschen sind ein Grab.“
„Was?“, habe ich völlig entgeistert gefragt. „Wie meinst du das?“
„Weil in uns allen ein Skelett ist.“
„Und was ist in uns begraben?“
„Die Menschheit“, sagte das Kind.
Uff, ein bisschen klug, ein bisschen gruselig.

Menschheit, Völker, Nachfahren hin oder her, die Urus leben vom Tourismus und zeigen, wie ihre Vorfahren gelebt haben. Da sie dabei nach wie vor ihre Schilfinseln bauen und instand halten müssen, leben sie teilweise schon noch wie die „echten“ Urus.
Die Schilfinseln bestehen aus Totora (sie müssen zu bestimmten Zeiten gestochen werden. Hochwasser, Tiefwasser … vergessen). Die Männer ernten sie mit Hackstangen und Stemmstangen, stechen Quadrat für Quadrat die Totorawurzeln. Uha, ruft der Uru, um zu zeigen, wie schwer das ist. Das versteht die Reisegruppe auch, obwohl Urus Quechua sprechen. Die Totorawurzeln werden mit Pfählen und Seilen verbunden und mit mehreren über Kreuz gelegten Schichten Totorohalmen bedeckt. Die ganze Insel ist zwei Meter dick.

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Modell einer Insel. Der Ofen kommt auf eine Steinplatte, sonst brennt die Insel ab.

Stellt euch das doch mal vor: Sie haben sich Inseln gebaut. Es sind so wenige Völker davor und danach auf diese Idee gekommen. Sie haben sich ihr eigenes Land erschaffen. Damit sind die Urus für mich so ähnlich wie die ersten, die auf einen anderen Planeten fliegen.
Angeblich waren sie das wildeste Volk im Inkareich und konnten nie von den Inkas unterworfen werden, weil sie mit ihren Schilfbooten immer schnell auf ihre Inseln zurück ruderten, wenn es Ärger gab. Haha, ich klatsche in die Hand und freue mich, dass dieses Volk sich selbst ausgedacht hat.

Wir sind auf der Insel mit dem Fischturm.

Der Großvater der Insel ist sehr, sehr, sehr charmant und lustig und es ist mir scheißegal, ob er jedesmal so charmant und lustig ist, zu allen Touristen und ob er heimlich nur davon leben will.
Im Internet gibt es einige nörgelige Berichte von Touristen, die sich als Touristen behandelt fühlen, wenn sie was touristisches machen. „Die lustigen Sprüche wirkten nicht sehr spontan.“ Echt, wenn man sich selbst überschätzt, glaubt man, dass die Welt nur ganz originell für dich existiert und nur für dich jedesmal etwas ganz neues produziert.
Leicht vorstellbar wie diese Personen Staubsauger, den Himmel und Essen bewerten.
Es war zu wenig Salz am Himmel und das haben sie so ähnlich auch schon in Teneriffa und in ihrem Garten gesehen, zuviel Blau am Staubsauger und der saugt bei jedem gleich.
Nach einer Lesung von mir könnte man die selben Sachen über meine Arbeit sagen: Sie macht das doch bei jeder Lesung so. Die Gags waren gar nicht spontan, sondern abgelesen und am Ende wollte sie auch noch Bücher verkaufen. Sie ist gar nicht in „echt“ so wie auf der Bühne.

Als halbzeitschüchterne Person, bin ich froh, dass es diese touristischen Dinge gibt. Hätte ich Lust, Kraft, Sensibilität, mich jeder Kultur selbstbewusst, schadensfrei und sicher zu nähern? Würde ich denn jemals fragen, ob ich auf eine Insel darf, ob ich in eine Hütte darf, ob ich so eine Decke vielleicht kaufen könnte? Und dann würde ich ohne zu bezahlen abzischen?
Diese Rituale, wie der Tourismus, ermöglichen einem das kontrollierte Eindringen.

Die Urus verkaufen eine Fahrt auf dem Boot, gestickte Souvenirs, von ihren Kinder gemalte Bilder, kleine Schiffe und alles ist so teuer oder billig, wie sie glauben, wie du es dir leisten kannst. Das sagen sie dir nicht so, aber so ist es.
Ich sehe die Schweinerei daran nicht.
Ich verreise doch nicht und bin dann nicht darauf vorbereitet, dass ich die reiche Weiße bin in den anderen Ländern. Bin ich doch.
Es ist nicht Nike, die dir überteuerte Schuhe von Sklaven zusammen genäht verkaufen und dabei das Grundwasser verschmutzen oder so. Im deutschen Alltag existieren wesentlich mehr Schweinereien zum Aufregen als bei den Urus. Geldverschwendung, Manipulation.
Es ist ein Freilichtmuseum mit verhandelbaren Preisen. Du machst es mit oder nicht. Interessant ist es auf jeden Fall, bzw. wirklich schön über die knisternde Totoroinsel zu laufen und sei es nur für kurz. Ich habe Bilder in meinem Kopf, die ich vorher nicht hatte und ich bin froh darüber.

Meine Lieblingsinfos:
Bei Festen wurden die Inseln zusammen gerudert und verbunden.

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Trockenfischlein und Souvenir.

Stellt euch vor: Wir ernten die geilen Triebe der Obstbäume und schreddern sie nicht, sondern verflechten sie und bauen ein großes Netz, das zwischen Bäume gehängt ein freies Land ergibt, ein pachtfreies Schweben über Deutschland. Mit eigenen Regeln und Gesetzen. Sei mutig und froh, ist eins der Gesetze. Wir behaupten nicht nur, dass jeder anders sein darf. Wir sagen nicht: „gönn dir“, wir sagen: „gönn auch den anderen“.
So, Hippimutti ist fertig für heute.

Nächstes Mal: die Menschen auf Taquile.
Vielleicht.

2 Kommentare

  1. Hallo liebe Reisende und Kind,
    wo seid ihr? Geht es euch gut? Ich schaue alle paar Tage auf eurem Blog vorbei und plötzlich ist es hier gespenstisch still. Das ist seltsam. Ich liebe eure Geschichten und bin begeistert von deinen Gedanken. Sie sind so wahr. So luftig und manchmal auch schwer, nie schwarz oder weiß sondern stets bunt. Für viele viel zu schwierig in Worte zu fassen, aber du schaffst das. Ich reise gerne mit euch. Gebt doch ein kurzes „Piep“ von euch, denn auch wenn wir uns nicht kennen, es ist doch komisch, nicht zu wissen, ob es euch gut geht.
    * Saskia *

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    • Kirsten Fuchs4. August 2016 um 22:05

      Hallo Saskia,
      Piep. Jetzt sind wir in Kroatien und ich arbeite am nächsten Bericht. Es war dazwischen so viel dies und das. Leben halt. Das ist aber süß, dass du nachfragst.
      Liebe Grüße
      Kirsten

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