An der Atlantikküste. Saufen ohne Alkohol und dabei die feministische Revolution planen

Als die Kinder im Bett sind gehen die Mütter saufen. So ist der Plan. Wenn viele Frauen in der Lage wären, so überlegen Anne und ich, sich egoistischer zu benehmen, bzw. richtig scheiße, dann könnten in Marokko Romantikurlaub machen. Der erste Sextourismus ohne zu bezahlen.

„Marokko ist ein kaltes Land mit heißer Sonne“, sagte Hubert Lyautey.

Nach einem schönen, windigen, sonnigen Tag in der Hafenstadt Essaouira werden zwei der drei Kinder krank. (Meins nicht. Es wird drei Tage später krank. Spoiler.)
Es ist sehr leicht, in Marokko krank zu werden, denn es ist warm und kalt gleichzeitig.
Die Marokkaner ziehen sich warm an und lassen auch alles an, was sie anhaben, wenn nachmittags die Sonne draufbrezelt. Denn jeden Moment, man weiß nie wann, zack, kann die Sonne damit aufhören zu brezeln und es ist dann finstermieskalt und es gibt dann keinen warmen Ort, denn die Häuser sind so gebaut, dass sie im Sommer schön kühl sind. Im Winter sind sie auch schön kühl.
Heizungen sind da oder nicht.
Die Touristin, in dem Fall ich, ist doof. Da es nicht so kalt ist, wie daheim, beschließt sie, dass es wohl warm ist und zieht Jacke und Pullover aus.  In Essaouira erkälte ich mich im zugigen wunderschönen Riad. In sowas übernachen wir, Anne und Familie und ich und Familie.
Was ein Riad ist? Sowas wie ein Kasbah. Nur kleiner.

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Als die Kinder im Bett sind, gehen die Mütter saufen. So ist der Plan.
Mütter, deren Kinder beaufsichtigt werden, wollen sich oft so wie früher benehmen. Nun ist man hübsch 10 Jahre älter, oder sogar 20, wenn ich nachdenke. Nichts ist wie früher. Wir reden darüber, wie gut sich die Kinder entwickeln und wie schlimm gleichzeitig die Welt.

Marokko ein Land mit 99 Prozent Muslimen. Da ist es schwer hochprozentiges zu finden.

Wir laufen durch die Altstadt, seit 2001 UNESCO Weltkulturerbe. Soll keiner sagen, ich könne nicht elegant informatives und lehrreiches in meine Berichte einbauen. Essaouira bedeutet „Die Eingeschlossene‘, in der schönen Berbersprache sieht das so aus: ⵎⵓⴳⴰⴹⵓⵔ . Es ist spät und trotzdem könnte man in der Medina noch Schuhe kaufen oder kleine Haie, die vor deinen Augen mit einem schmalen Messer geöffnet werden. Man kann auch diese wuscheligen Drüberzieher für Frauen kaufen. Aus solchem Stoff sind bei uns Decken für Omis. Die Muster sind teilweise wie von Kinderklamotten. Es sind große Säcke mit Kapuze und Taschen. Sehr gemütlich sieht das aus. Rot mit Sternen oder grau mit irgendwelchen Figuren oder Rosen. Ich überlege, ob ich es lieben würde, keinen Tag mehr überlegen zu müssen, was ich anziehe. Ich ziehe einfach irgendwas an und dann so einen Wuschelsack drüber. Ich würde nie wieder frieren, nie wäre was zu eng oder würde rutschen. Ich würde mich nicht fragen, ob irgendwo was rauskuckt, was die anderen denken. Viele Frauen tragen sowas, alte und junge. Es wirkt eher wie ein Jogginganzug, die moderne Form des Berbersackes. Die Männer tragen altmodischere Säcke, gestreift, weiß, grau oder graugrün. Kapuze auf, Hände in den Taschen.
Überall dürre, rötliche oder weiße Katzen. Männer und Frauen sind unterwegs. Nichts wirkt wie „angetanzt“ und „beklaut“. Anne und ich sind außerdem im internationalen anerkannten Mütterschutz. Mütter sind auch sexy, ja, aber nicht so sehr wie Nicht-Mütter. Erscheint auch erstmal sinnvoll, wenn Sex nur dazu da wäre, Kinder zu zeugen.

Wir fragen wie versoffene Europäer überall nach Bier. Ein junger Mann, dessen Augen in verschiedene Richtungen blicken, schickt uns weiter in die Richtung, in die seine Hand weist, aber es hört sich nicht an, als ob er wüsste, wo wir suchen könnten. Er will nur, dass wir weggehen.
Ein anderer junger Mann sagt, dass es Bier in seinem Restaurant gäbe, zumindest nickt er. Als wir sitzen, gibt es doch kein Bier.

Wir finden eine sehr schöne Kneipe. Auch ohne Bier. Aber mit Livemusik. Der Kellner braucht viele Worte, um zu beantworten, ob es Alkohol gibt.
Nein, aber sie haben die Ausschankgenehmigung beantragt und hoffen, dass sie nächstes Jahr da ist.
Es ist ein Jammer sagt er, dass aus Marokko so guter Wein kommt und sie den nicht servieren dürfen.
Da würde ich gern westlich erstmal zustimmen und mit angetrunkener Stimme „Freiheit!“ rufen, aber so toll ist Alkohol wirklich nicht. Ich will mich nicht benehmen, als wäre das Alkoholrecht etwas wie das Waffenrecht und dann sagen: „Nicht Alkohol verprügelt Leute, Leute verprügeln Leute.“

Anne und ich reden über das, was Anne so über die Ausreiseanträgen der Marokkaner gehört hat. Die Quelle darf ich nicht nennen.
Weil Kanada eine bessere Immigrationspolitik hat bzw. überhaupt eine Immigrationspolitik, gehen die fähigen Marokkaner nach Kanada. Oder nach Frankreich. In Frankreich gibt es viele Marokkaner und weniger Probleme mit ihnen als mit den Algerien, so sagt es Pierre jedenfalls.

Alles verlief nach Klischee. Fuck Klischees!

Über 300 Eheprüfungen gibt es in Marokko ungefähr im Jahr, Befragungen wie im Hollywood-Film „Greencard“. Es gibt eine Internetseite, bei der komplette Liebesdialoge für WhatsApp heruntergeladen werden können. „Wie geht es dir Schatz? Alles okay, Liebling.“ Und so weiter. Alles ohne Namen, aber sicherlich kann man die auch einfügen. Bei den Befragungen sagen die Paare manchmal, dass sie sich gar nicht so viel unterhalten, sondern mehr küssen. Die Sprache der Liebe.
Manche Frauen würden wirken, als hätten sie sich ein ganz besonderes Spielzeug zugelegt. Sie wären verliebt und stolz. Die Männer verhielten sich sehr charmant, aufmerksam, zugewandt und ebenfalls sehr, sehr verliebt.

Ich habe in der Familie eine Frau, die mit einem Tunesier verheiratet war. Alles verlief nach Klischee. Fuck Klischee! Die eine Hälfte der Familie wollte, dass es nicht wahr ist, dass er nicht so ist, dass diese Geschichte nicht so eine Art Geschichte war, aber es war so eine Art Geschichte. Die andere Hälfte der Familie hatte es gleich gewusst.

Anne sagt, sie habe gehört, dass viele Antragsteller nicht gut deutsch sprechen. Manche haben ein Attest vom Arzt auf dem steht, dass sie es schwer haben Fremdsprachen zu lernen.
Außerdem gibt es welche, die über Istanbul als Syrer einreisen und die haben die schwere Krankheit, ihren Pass nicht festhalten zu können. Der fällt einfach aus ihrer Hand. Wir lachen. Was soll man sonst machen?
Die Menschen nutzen die Völkerwanderung und wandern auch.
Ich muss mir immer wieder die Frage stellen, was würde ich für ein besseres Leben tun?
Kann ich darüber urteilen, wenn ich nie, nie in der Situation war?
Wie oft habe ich Ämter belogen? Wegen welcher Gelder welche Unterlagen besorgt oder nicht besorgt.
Wie oft hat die Liebe mich restlos dummdummdumm gemacht. Der falsche und alle haben es gewusst?
Nur verliebt spielen kann ich mir nicht vorstellen. Das könnte ich nicht. Jemand küssen, den ich nicht küssen will. Jemanden wirklich benutzen.
Kann ich nicht. Will ich jetzt nicht aufs Geschlecht schieben. Ich kenne zu viele Männer, die das auch nicht könnten.

Jetzt wären die Verarscher die Verarschten.

Wenn viele Frauen in der Lage wären, so überlegen Anne und ich, sich egoistischer zu benehmen, bzw. richtig scheiße, dann könnten die fett in Marokko Romantikurlaub machen. Der erste Sextourismus ohne zu bezahlen. Das müsste sich nur rumsprechen, zack, wäre der Romantiktrip bei den Reiseanbietern buchbar. Die Männer kämen von allein zum Hotel, man müsste nicht danach telefonieren. Sie würden die Frauensauschweine wie Damen behandeln. Von oben bis unten in Komplimente einrollen, mit Augen tun, was mit Händen erst später geschieht. Sie würden kein Geld dafür wollen. Sie würden hoffen, dass man sie aus dem Land holt. Dass die Frau sich in sie verliebt. Das würden die Frauen nicht tun, weil sie wissen, wie das Spiel läuft und zack, würde das Spiel anders laufen. Jetzt wären die Verarscher die Verarschten.
Überall sonst auf der Welt müssen Männer wie Frauen dafür bezahlen, befingert, massiert, geliebt zu werden, wenn sie es wollen und der andere Hilfe braucht.
In Marokko wäre ein Eheversprechen ausreichend.
Sie würden behaupten, dass sie ihn rausholen und dass sie heiraten. Er würde bestimmt einen Job in Deutschland finden, ihre Familie wäre auch sehr nett, Kinder könnten sie haben, auch noch kurz vor den Wechseljahren. Und dann wäre sie von heute auf morgen abgereist. Sie hätte ihm einen falschen Namen gesagt, eine falsche Stadt.
Beide wären gefickt.
Nur anders.

Wie radikal das wäre.
Wie emanzipiert und über gleich berechtigt das wäre.
Wie scheiße und unglaublich.
Die Welt würde an dieser Stelle kippen.
Frauen hätten die Macht. Absolut.
Wie vorsichtig die Loverboys ab da wären.

Wir laufen unangetanzt, unbeklaut und ohne eine Aufforderung zu heiraten zurück ins Hotel, zu Männern und Kindern. Dann küssen wir sie im Schlaf und sagen „Alles ist gut!“ Den Rest erzählen wir unseren Töchtern später.

3 Kommentare

  1. Und dannn war hier noch gar nicht die Rede von den unglaublichen Getränken! Avocado-Smoothie mit Mandelirgendwas. Hm. Dachte ich. Dann. Hmmmmmm. Könnte lecker sein. War aber eher wie ein sehr gut pürierter Babybrei aus der Rubrik „Mal was ganz anderes für die lieben Kleinen“ aus einer Elternzeitschrift, die in hippen Stillcafés im Prenzlauer Berg ausliegt. Und das durch n Strohhalm. Also… Nicht meins. Als Baby fand ich klassisch Kartoffel-Möhre auch besser. Ich hab dann ein Viertel weggesaugt und dem Kellner gesagt: Gib mir nen Löffel. Oder: Mach mal was saures, flüssiges drauf. Hat er gemacht. War auch besser. Trotzdem: Ein Hoch auf Alkohollizenzen und ein ordentliches Bier. Meinetwegen auch Casablanca. In der Not trinkt der Teufel auch das.

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    • Kirsten Fuchs11. März 2016 um 10:31

      Ja, die unglaublichen Getränke. Der Strohhalm war zu dünn. Beide Smoothies zusammen wären perfekt gewesen.“Ich habe ein Viertel weggesaugt“ hört sich an wie so eine üble Trinkerübertreibung. Ich habe ganz Mahrzahn weggesaugt.

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  2. Ich heiße Helga und bin 31 Jahre alt. Als ich verstand, dass ich zum Trinker wurde, war ich nur 25 Jahre alt. Ich hatte Ehemann, zwei Kinder, das Auto, Geld. Wir reisten, verbrachten viel Zeit zusammen. Und das Leben könnte ziemlich glücklich vorkommen, aber hatte ich 15 Kilo Übergewicht. Ich wollte wieder schlank sein, versuchte, verschiedene Diäten zu halten, aber das war ganz nutzlos und ich fiel in Verzweiflung immer mehr. Ich war müde von Unterernährung und zu wenig Schlaf. Damals war meine jüngste Tochter noch sehr klein und weckte mich in der Nacht.

    Außerdem dachte ich, dass mein Ehemann liebt mich nicht mehr, und bemerkte, dass er das Interesse für mich verlor und von Zeit zu Zeit sich in den Anblick von schlanken Frauen vertiefte. Ich fühlte gekränkt, war oft eifersüchtig und einmal erfuhr, dass er einen Sprung auf die Seite gemacht hatte. Er hatte ein Verhältnis mit einer hübschen schlanken Kollegen. Zum Glück kam er endlich zurück zu mir, brach die Beziehungen auf der Seite ab, aber im Grunde des Herzens tat es mir lange Zeit weh. Ich erinnere mich, wie habe ich zum ersten Mal nach einem weiteren Skandal zwei Gläser Wein getrunken. Anfangs sah es ziemlich harmlos aus. Natürlich wusste ich damals noch nicht, wozu es führen konnte.

    Laut der Instruktion des AlcoBarrier

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