Afrika, Halle 20

Angina in China.
Das wäre eine Überschrift gewesen. Auf Marokko reimt sich gar keine Krankheit. (Streptokokko?)

Statt nach Südafrika, gehts leider nach Hause und dann zum Ersatz zur Internationalen Tourismus Börse. ITB.

Wie die kleine Weltreisende krank war, dann zu Hause wieder gesund wurde und wir zum Ersatz für Afrika durch die ITB reisten.

Das war ja klar, dass das mal passieren musste. Kind wird unterwegs krank. 40 Grad Fieber im Schatten. Ich war eh schon krank und schnaubte in alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war.
Also ging es nach den Etappen: Essouira (hab ich drüber geschrieben), nach Marrakesch (schreib ich noch drüber), und von dort über den hohen Atlas in die Wüste (schreib ich noch drüber), dann über den niederen Atlas durchs Schneegebiet nach Rabat (schreib ich noch drüber), dann allerdings nicht nach Südafrika. Bye bye Krüger-Nationalpark. Wir sehen uns wann anders.

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Das ist, glaube ich, der Hustensaft.

Angina in China.
Das wäre eine Überschrift gewesen. Auf Marokko reimt sich gar keine Krankheit. (Streptokokko?)

Ein marokkanischer Arzt kommt zu den Freunden in Rabat nach Hause. Ein Anruf und er ist da. Ich habe noch nie einen so netten Kinderarzt erlebt. Er ist etwas älter, hat einen schönen blauen Anzug an mit goldenen Knöpfen. Seine Augen sind mild und lustig. Ein kleines Bäuchlein und das wichtigste: ein lederner Arztkoffer.
Er ist wie aus einer erfolgreichen Serie aus dem 50ern.
Angina, sagt er auf Französisch und verschreibt viele Säfte, die das Kind alle wieder auskotzt. „Nach Hause“, hustet es. Ich habe nicht die Absicht, dass das Kind später sagt: „Und dann musste ich ja diese Reisen mit dir machen“. Weltreisen mit Kindern sind nur ungut geworden, wenn man sich zu viel vorgenommen hat, so meine Infos von Weltreisenden mit Kindern.
Also Flüge umbuchen, ab nach Hause. Hoffen, dass mit der Reiseabbruchsversicherung alles später klar geht.
Das Antibiotikum bleibt gottseidank im kranken Kind drin. Sie verschläft den Rückflug und zu Hause ist sie innerhalb von einem Tag so gesund, dass sie schon wieder mit dem Hund durch die Wohnung kugeln kann.

Tourismus, die Sacklaus des Reisens.

Also gehen wir ein paar Tage später zur ITB. Ein bisschen Afrika nachholen.
„Mama, was ist eigentlich Tourismus?“
„Wenn man verreist, weil man das Land sehen will.“
„Warum sollte man denn sonst verreisen?“
„Weil man in dem anderen Land arbeitet zum Beispiel, oder zwei Wohnungen hat oder weil man …“
„… das Land erobern will.“
„Ja, das ist dann kein Tourismus. Das ist dann Krieg.“

Tourismus, die Sacklaus des Reisens. Er will an die warmen Orte, hat es gern gemütlich. Dort will er wirklich wissen, wie das Land ist, den Geheimtipp, zu dem alle wollen, das Blut und die Identität, etwas echtes.
Dagegen ist gar nichts zu sagen. Solange man Geld ins Land schwappt. Es ist wichtig zu reisen. Bringen wir das Geld dahin, wo es gebraucht wird, wo es Arbeitsplätze schafft.
Wenn man alt genug ist und genug Geld hat, kann man auch gemütlicher reisen als mit dem Rucksack, mitten rein in eine spannende Unklarheit. So jung bin ich nicht mehr. Ich befürchte, dass ich nicht mal, als ich jung war, jung genug dafür war.
Für unfähige Teile wie mich ist es gut, in ein Reisebüro zu gehen kann und zu sagen: „Bitte verreisen sie mich.“

Wo sind wir, fragt das Kind zwischendurch. Wir laufen durch die Länder.

Nach einem Jahr Reiserei erkennt die kleine Weltreisende verblüffend viel. Das schöne Finnland, die Johannisfeuer. Thailand, London, Schottland. Mensch, wo sie überall schon war.
In Schweden sehen wir zwei Pippi-Langstrumpf-Aufführungen auf Schwedisch.
In Norwegen stehen wir 20 Minuten für Polarlichter an. „Ich will da jetzt rein. Maaaaan,“ nölt das Kind.

„Früher war es mehr wie damals.“

Das Kind braucht mehr Anstehtraining. Nicht Englisch und Karate, einfach zwei Stunden in einem Kindergeduldskurs vor einer Eisdiele stehen und wenn sie dran ist, dann gibt’s kein Schokoladeneis mehr.
Seit Indien denke ich, dass uns hier ein ordentliche Fuhre Demut, Geduld und Gelassenheit fehlt.
Mein Vorschlag ist, dass es häufiger Umleitungen gibt, Busse unterwegs kaputt gehen, die Bahn wesentlich unpünktlicher kommt und zwar ohne sich dafür zu entschuldigen. Ich fordere, dass Geschäfte auch mal geschlossen haben, Artikel auch mal nicht verfügbar sind, es nicht alles von der Wunschliste gibt und nicht immer die Möglichkeit für noch attraktivere Partner.
Ich bin für mehr Nicht-Verfügbarkeit. In meiner Kindheit kam ein Film, wenn ein Film kam. Jetzt kann man jeden Film kucken, wann man will, ihn anhalten zum Pullerngehen und jede Sorte Eis ist da.
Das macht doch krank.
So fertig mit: „Früher war es mehr wie damals“.

„Da fällt mir das Knicklicht aus der Hand.“

Im Durchgang von Halle dings zu Halle bumms, ruft ein Mann: „Kommen sie rein! Hier findet das große Finale der Messe statt.“
So, da haben wir gedacht: Toll, nicht das kleine Finale, sondern das große, supi!
Auf jedem Sitz im großen Saal liegt ein Knicklicht und das allein hat das Kind über eine Stunde beim großen Finale der ITB bei der Knicklichtstange gehalten.
Der Chef vons Ganze, Name vergessen, sagt Frau Knüllebüch aus Huscherbuh kommt seit 50 Jahren hierher, toll, dass sie auch heute wieder da ist. Sie war sogar schon ein Jahr vor der ersten Tourismusmesse da und ist dann einfach wieder nach Hause gefahren. Das sagt er nicht, nein, er macht ein, zwei Flughafenwitze und dann sagt er, was er alles nicht sagt, damit die Rede nicht zu lang wird. Er zählt aber wirklich alles auf, was er jetzt nicht sagt, weshalb er es ja dann doch gesagt hat.
Das uneheliche Kind von Maren Gilzer und Markus Lanz moderiert eine Isländerin als die Stimme des Windes an. Naja, irgendeinen Künstlernamen braucht man ja, da werde ich als die Schreinerin der Herzen mal nicht so laut Ujuijui rufen.
Die Stimme des Windes weht ein bisschen umher. Ich bin so froh, dass der faule Haufen heute nicht mein Publikum ist, ich einfach selber zum faulen Haufen gehören kann.
Vor uns schläft eine Frau ein und ihr Knicklicht fällt runter.
Der Satz „da fällt mir das Knicklicht aus der Hand“ sollte als feststehende Redewendung üblich sein, nur weiß ich noch nicht ob für Langeweile oder für Begeisterung. Ihr dürft es verwenden wie ihr wollt.
Danach kommt ein Berliner A-Capella-Chor. Wenn er der ITB ein Geburtstagsständchen singt, sollen alle Knicklichter hoch. Das klappt schon mal ganz toll, eigentlich nicht. Das Saallicht wird auch nicht ausgemacht. Es ist alles verpufft. Die Stimme des Windes, aber Holla.
In der ersten Reihe sitzen die Ehrengäste aus Burundi und von den Malediven. Sie starren hoch zur Bühne. Ich würde gerne wissen, was sie denken über diesen Berliner Chor, über die Menschen, die versuchen sich zu bewegen wie Leute, die Rhythmus haben, die behaupten, den Beat zu fühlen und schon auch mal einen Huwhahahaha-Schlenker in die Melodie einbauen.
Ich versuche mir vorzustellen, ich wäre irgendwo in Afrika Ehrengast und ein Chor würde versuchen, Volkslieder zu singen, aber es wäre irgendwie zu mitreißend, zu cool, mehr grooven als schunkeln. Wie fände ich das?
Der Applaus danach ist hart und ehrlich.
Dann kommt für Tochter und mich unser Stück Ersatzafrika.
Die magische Trommeln aus Burundi.
Nicht nur dass sie die Trommeln auf dem Kopf tragen und bei Laufen ihre Füße hochwerfen, dass die Farben rot, grün und weiß fantastisch zusammen aussehen – sie lachen dabei auch, breit und anhaltend. Sie walzen diese ganze Energie die Showtreppe hoch, aber nicht, weil sie wissen, dass man das machen soll oder muss, sondern weil sie diese Energie einfach haben. Das wellt sich sofort in die Zuschauer rein. Die sind auf einmal alle voll da. Das ist wirklich Starkstrom.
Die Stuhlreihe, in der wir sitzen, vibriert vom Getrommel des Kindes bis zu 40 Stühle weiter. Die Menschen kucken, Hälfte „hach, Gott, wie süß“, Hälfte „also, nee, das geht doch nicht“.
Ich bin ein Knicklicht, ey, und bitte das Kind sich hinzusetzen. Boah, wie blöde von mir. Jemandem das Tanzen und Trommeln verbieten, weil man hier still zu sitzen hat. Kacke, hätt ich mal mehr Mumm gehabt.

Kack Abendland!

Wie kann es eigentlich sein, dass diese kräftigen, tollen, gut gelaunten, entspannten, sexy Völker so von den unterkühlten öden Völkern unterdrückt und ausgenutzt wurden und werden? Waren die zufrieden in ihren schönen Ländern und sind deshalb nicht losgezogen, um andere Länder auszubeuten, zu erobern?
Ich meine nicht dieses „der edle Wilde“ oder so. Die afrikanische Völker haben ja auch gut gegeneinander Krieg geführt. Das kann es so nicht sein.
Je mehr ich reise, umso weniger verstehe ich diese unangebrachte Arroganz der westlichen Welt.
Habe in Marokko gerade den großartigen Roman „Euphoria“ von Lily King gelesen und da Zitate drin gefunden, mit denen ich mich richtig rund gefühlt habe.
„… eine allmähliche Loslösung von dem ehernen Glauben daran, dass die natürliche und unveränderliche Krönung jeglicher Gesellschaftsform die abendländische wäre.“
UND
„… dass die abendländische Zivilisation so wenig als das Endprodukt einer kulturellen Evolution gelten könne wie das Studium primitiver Gesellschaften als das Studium unserer Ursprünge.“

Ich habe auch in Indien ständig gedacht: „Wie konnten die Engländer hierher kommen, das vorfinden, diese Bauwerke, diese Wucht an Kultur und denken, sie müssten das unterwerfen, besitzen, verändern?“ Ich kann dieses Streben nicht verstehen. Etwas besitzen, dominieren und verändern wollen und dadurch zerstören.
Ebenso geht mir das einseitige Bild des Orients total auf den Keks. Das sind oder waren oder sind spannende Hochkulturen, denen das Ansehen verweigert wird. Ich verstehe, dass die sauer sind, wenn man ihnen diese Bittstellerrolle zuschiebt. Ist mir auch egal, wer angefangen hat. Ich kann nur für meine Kultur, kack Abendland, sprechen und dass es sich gefälligst weiter entwickelt verhalten soll, wenn es schon so tut als ob es das wäre.
Hups, bin ich abgeschwiffen?

 

Weltreise in vier Stunden. Am Ende alles in Plastik. Die Welt und die Messe.

Wir sausen durch Europa nach Afrika, nach Asien. Es riecht, wie es in Thailand roch, aber es schmeckt nicht so. Während wir essen, werden die Pagodendekorationen vom Stand abgenommen und ich Frischhaltefolie eingewickelt.
Leute, was das wieder an Müll gibt!
Wir trödeln so lange durch die Länderdekorationen, bis keiner mehr da ist. Eine leere Henna-Ecke, ein leeres Ägypten. „Palestina, Holy Land“ verwirrt mich etwas.
Wir bekommen viel übrig gebliebene Schokolade geschenkt.
Als wir die Hallen verlassen, kommt uns ein langer Tross von Männern mit Werkzeugkästen entgegen, die die halbe Nacht die Messedeko zerlegen werden. Ein nicht abreißender Strom von Messebauern. Einige Polen dabei. Werden in einigen Jahren viel Syrer dabei sein?
Sie bauen die Messe ab, werfen weg oder wickeln in Frischhaltefolie ein. Mann, echt, was das wieder an Müll gibt. Marokkos Wüstensträucher sahen aus, als ob Plastiktüten dort wachsen.

Jedenfalls ist das Kind wieder gesund und hat nach der ITB auch wieder Lust aufs reisen.

Lebe deinen

Lebe deinen Traum für heute geschlossen.

2 Kommentare

  1. Bin ganz verknicklicht.

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