In einer ganz geheime Höhle in Indien, einer wirklich exorbitant geheime Höhle, so geheim, dass sie selbst nichts von sich weiß, liegt ein schwerer Stein und unter diesem schweren Stein ist eine verschlüsselte Inschrift in den Boden geritzt: „Und sollte das Land zu einem Zeitpunkt seiner Existenz so voll von Menschen sein und doch so beliebt als Reiseland, so erschweret den Reisenden den Eintritt ins Land und stellet sie vor vier Prüfungen.“
Wer eine Herausforderung sucht, der kann versuchen eine Gurke quer zu essen, oder die Menschen davon überzeugen, dass ihre Gemeinsamkeiten größer sind als die Unterschiede zwischen ihnen.
Aber wer eine echte Herausforderung sucht, der soll ein Visum für Indien beantragen. Und wenn man dabei einen Fehler macht, wird man in Indien verhaftet. Aber keine Panik. Zumindest nicht mehr als vor Brillenschlangen.
Om.
Prüfung eins.
Ein indisches Visum darf erst sechs Wochen vor Einreise beantragt werden und es wird geraten, vorher keine Flüge zu buchen. Die Bearbeitung eines normalen Visums kann zwischen zwei und drei Wochen dauern. Das bedeutet also, dass man sechs Wochen vor Abreise ein Visum beantragt, drei Wochen wartet und dann drei Wochen vor Abreise endlich einen Flug buchen kann. Sollte der Antrag dann wegen ener Kleinigkeit abgewiesen werden (Passfoto hat einen Grünstich), hat man ja noch drei Wochen für einen weiteren Antrag und kann dann einen Tag vor Abflug das Flugticket kaufen.
Om.
Und nicht vergessen, wenn was nicht stimmt, wirst du verhaftet.
Prüfung zwei.
Für ein normales Visum muss man online einen Antrag ausfüllen, auf einer Seite, die manchmal abstürzt. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es vier Seiten auszufüllen gilt und dass das Programm sich schließt, wenn man zu lange nichts tut. Es ist wie ein Run-and-Shoot-Game, nur als Ausfüll-und-Beeil-Formular getarnt.
Und nur zur Erinnerung, wenn etwas nicht stimmt, kannst du in Indien verhaftet werden.
Ok, man kann zwischenspeichern und sich erneut einloggen. Auch wenn es nervt.
Om.
Diesen online ausgefüllten Antrag muss man dann ausdrucken (hihi) und unterschreiben. Toll, dieser Irrsinn. (Noch besser fände ich, dass wenn man den Antrag telefonisch anfordert müsste, per Post bekäme, dann ausfüllen müsste und danach faxen. Danach aber persönlich hingehen, um ihn zu unterschreiben. Mit rosa Tinte.)
Mit diesem Antrag reist der Reisende zu einer Stelle, die dafür zuständig ist und gibt vormittags den Antrag ab. Vormittags abgeben, nachmittags abholen. Ganz einfach. Nun braucht es noch schnell zwei Passfotos, aber quadratische, auf denen der Kopf die Hälfte vom Bild ist und alle Ohren zu sehen sind. Man darf keine unnatürliche Gesichtsfarbe haben, selbst wenn man vielleicht eine hat.
Man kann diese Fotos vor Ort machen, der Automat nimmt aber nur Fünfeuroscheine. Eine Freundin sagte, dass sie mehrfach hin musste, weil das Kind beim Fotografieren gewackelt hat, wie Kinder eben so wackeln, bis die Fünfeuroscheine alle waren.
Om.
Und falls was nicht stimmt, wirst du verhaftet.
Prüfung drei (wer diese besteht, kann die ersten beiden Prüfungen überspringen und bekommt dafür aber eine Zusatzprüfung).
Es gibt auch eine schnellere Möglichkeit, an ein Visum zu gelangen, wenngleich diese mehr kostet. Time ist Knete (ohgottohgott, das klingt so originell wie irgendein Berliner Unternehmen, dass Rentnern die Einkäufe nach Hause bringt.). Das sogenannte e-Visum kann man in spätestens zweiundsiebzig Stunden haben. Bei mir hat es keine vierundzwanzig Stundengedauert.
Indiens Botschaft mag seit 2014 ihre Visumanträge nicht mehr selbst bearbeiten und hat die Visumvergabe outgesourcet. Es gibt viele Firmen, die anbieten zu helfen. Ich klicke mich nach Instinkt durch. Instinkt sagt überall Nein. Auch die offizielle Seite sieht mir nach Nein aus, aber sie ist es.
Auch hier ein Onlineformular, welches sich bei Untätigkeit schließt, aber zwischengespeichert werden kann. Für meinen Antrag brauche ich zwei Tage. Für den Antrag vom Kind zehn Minuten, weil ich es dann drauf habe (ha, hu, wer hats drauf? ICH!).
Schwierige Fragen sind die nach den besonderen äußerlichen Merkmalen. Man kann aber auch NA schreiben. No Answer. In welchen Ländern man in den letzten zehn Jahren war. Bei mir gibt’s dann einen Annahmestop. Zuviel gereist. Schon beim Kind sieht das Ausfüllfeld voll aus. Und ihre letzten zehn Jahre bestehen nur aus sechs Jahren.
Ob die Großeltern aus Pakistan kommen.
Ob das Kind beim Militär war.
Der Antrag kann erst bearbeitet werden, wenn das Geld überwiesen ist. Ich habe inzwischen eine eigene Kreditkarte, weil Frau von Welt das braucht. Ich habe sogar zwei. Eine finde ich nicht und eine ist gesperrt. Jetzt habe ich aber auch eine Taschengeldkarte von STA travel. Neuerdings zur Sicherheit, falls eine Geldkarte verloren geht und eine geklaut wird oder so, aber wie es aussieht, kann ich auch ganz allein dafür sorgen, dass drei Karten von Nöten sind. (Ok, eigentlich habe ich fünf, aber mit einer kann ich kein Onlinebanking machen und mit einer darf ich nichts ins Ausland überweisen.)
Ich überweise dann mit der STA-Taschengeldkarte von einer australischen Bank auf eine indische Bank amerikanische Dollar. Welt, du seltsames Ding. Moderne, du verrücktes Huhn.
Zusatzprüfung für die mit e-Visum.
Dann reist der Reisenden mit einem Zettel nach Indien und bekommt am Flughafen einen anderen Zettel. Man solle nicht vergessen, auf einem Stempel im Pass zu beharren, denn sonst darf man nicht ausreisen, darf aber mit dem e-Visum nur dreißig Tage bleiben und schon hat man kein gültiges Visum. Zack, verhaftet.
Ein Zettel.
Ein Blatt.
Om.
Vor zwei Jahren war ich in der Schweiz bei einem Freund und wir waren wandern und sprachen über das Leben, und wie wir uns darin verhalten, in diesem Leben. Oft geht es in solchen Gesprächen um Angst, ob man es nun so nennt oder nicht. Das traue ich mich nicht, das kann ich nicht, das will ich nicht nochmal erleben. Sich bewegen zwischen Sicherheit und Freude, Vertrauen, Zuversicht und Panik und Zweifeln.
Dann bückte sich der Freund, hob ein gelbes Blatt auf und sagte: Du willst Sicherheit. Hier ist Sicherheit.
Und er wollte, dass ich das Blatt lachend in den Wind warf oder was weiß ich. Aber ich sagte „Gib her!“, griff mit die Sicherheit und steckte sie in die Arschtasche. Ich habe das Blatt bis heute. Sicherheit in einem Schraubglas. Es ist ein Andenken, aber ganz ehrlich: Ich würds nicht wegwerfen wollen, nicht mal als symbolischen Akt.
Sicherheit: ein Blatt.
Om.
Papier.
Geld.
Om.
Liebe Kirsten, unsere Visa sind beantragt und bestätigt. Om. Christina + Luis
JUHU! Viel Spaß euch. Bin sehr gespannt, was ihr erzählen werdet.