Deutschland sieht von hier aus ganz schön scheiße aus.

Wenn ich in anderen Ländern bin, frage ich mich jedesmal, ob ich dort leben könnte.

In der Hoffnung, ich wäre dann für immer wie ich bin, wie ich bin, wo ich gerade bin.

Ich bin auf Reisen meistens auf Hochleistungswahrnehmung, fühle mich belebt, angeregt und wach.

Ich liebe es, Dinge zu sehen, die ich noch nicht gesehen habe, Menschen bei Tätigkeiten und zwischenmenschlichen Szenen zu beobachten, die mir Rätsel aufgeben. Ich mag die Eleganz von geübten Bewegungen, die ich nicht verstehe.
Ich mag das Fremde und ich mag mich, wenn ich etwas Fremdes sehe. Ich bin neugierig und offen.
Zu Hause bin ich gar nicht unbedingt so.

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Vor jeder Reise habe ich Angst und verfluche mich dafür, dass ich immer das tun will, was ich noch nicht kann, nur um es danach vielleicht zu können.

Sobald ich losfahre, werde ich ruhig.
Irgend ein Sprichwort auf irgend einer Sprichwortseite besagt ungefähr, dass man den schwierigsten Teil der Reise geschafft hat, wenn man die eigene Tür von außen schließt.
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Zu Hause besitze ich zu viele Dinge und habe damit zu viel zu tun und wenn ich es nicht tu, zuviel Unordnung. Ein kleines Gepäck ist eine solche Erleichterung. Will ich zu diesen ganzen Dingen zurück, deren Herr ich bin und denen ich Herr werden muss?

Ich bin zu Hause zu viel im Internet, esse und trinke nicht regelmäßig genug.
Das ließe sich alles ändern.
Wäre ich dann für immer glücklich?
In Deutschland?

(Sehr große Fahne an einer Bar auf Ko Chang, abends lehnen thailändische Frauen unten an dem Steinen. Warten auf was.)

deutschland

Ich langweile mich schon ein bisschen hier mit dem ganzen Frieden, dem Strand und der Ruhe, in die morgens die Vögel ihre abstrusen Geräusche brüllen (einer klingt wie die Hälfte des Geräusches, wenn der Fahrstuhl kommt. Einer wie eine Autoalarmanlage, aber nur der erste Ton. Einer schreit wie eine Katze, die das Miau nicht trifft. Ein Vogel klingt, als ob ein großes Stück Pappe gewedelt wird.)

Abends schreit der Gecko To-keh. So wird er auch genannt.

Wenn alles so hieße, wie das, was es äußert, hieße der Mensch neuerdings Kommentar.

Hoffen die Kommentierer von Kommentierern eigentlich, dass das Kommentieren dann aufhört, wenn sie erstmal so richtig klar und deutlich gut ausformuliert kommentiert haben? Wer den letzten Kommentar schreibt, der hat gewonnen, denn sein Wort ist gültig, denn das letzte?
Die einen haben Angst, die anderen haben Angst vor denen, die Angst haben (ich zum Beispiel auch).

Menschen, denen man sagen muss, dass Menschen Menschen sind. Menschen, die glauben, dass man Menschen, die Menschen nicht für Menschen halten, sagen könnte, dass Menschen Menschen sind.
Das liest sich alles ganz irre von hier aus.
Deutschland.
Was los, Leipzig? Was los, Köln? Wintereinbruch am Lageso. Sinnlose Regeln.
Das ist alles scheiße.

Von hier aus sieht Deutschland nicht so aus wie ein Land, in das ich wollen würde. Außer es ist Krieg, wo man herkommt. Aber sonst? Dafür extra übers Meer? Und hoffen, das man dir etwas abgibt? Dass Leute mit dir teilen, die nicht teilen wollen.

Den ganzen Tag sagen wir hier den zwei Urlaubskindern, wie die Menschen miteinander leben können.

Teilen, abwechseln, fühlen und fragen, wie es dem anderen geht. Der andere darf eine andere Meinung haben. Das sagen wir.
Es fällt den Kindern manchmal schwer. Sie sind sechs.

Und wir glauben, dass sie es lernen können.

Affeninsel. Riesiges Geschrei. Nichts mit Teilen.

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Ich lese, was los ist in Deutschland und werde müde.

Nicht nur was passiert, auch wie damit umgegangen wird. „Aber, aber, trotzdem auch, #mit-genug-Stimmen-beweisen-dass-man-Recht-hat. Meine Statistik, deine Statistik, Beschimpfung, Smiley, der aber gar nicht lacht. Kackhaufen und Bomben.“
Jemand hat ein Gefühl und wird verhöhnt. Er solle das Gefühl nicht haben, denn verglichen mit anderen Gefühlen ist das Gefühl dumm. Jemand hat was gelesen, aber jemand anders sagt, dass er was anderes gelesen hat.

Das Glück sitzt draußen und tut etwas mit den Händen. Es erschafft, baut und begreift. Es spielt. Wie die chinesische Familie am thailändische Strand. Sie zeichnen mit nackten Füßen ein Hüpfspiel in den Sand und hüpfen.

Ist Glück noch ein Maßstab? Oder ist das neue Glück die Sicherheit?

Ich denke diese Dinge nur, weil ich bald zurück muss. Sonst stellt mir Thailand keine Fragen. Es ist nicht Indien. Man kann hier schnorcheln, Elefanten treffen, Tiger, Touristen, bunte Sachen essen und noch buntere Hosen kaufen, Teil der Tourismusmaschine sein oder auch nicht. Kokosnüsse trinken, die Füße ins Wasser hängen. Die große Rutsche ausprobieren.

Wenn ich aufhören würde nachrichten zu lesen, wäre ich dann glücklich? Immerhin ist ja trotzdem alles noch da, auch wenn ich nicht hinsehe.
Ein Krebs in einem Sandloch.
Spuren von Einseidlerkrebsen.
Zurückziehen ist auch keine Lösung.

Aber was dann?
Mehr Kinder machen und gut erziehen? Mit ihnen reisen und die Großartigkeit der Vielfalt zeigen? Ihnen sagen „schau mal, kuck mal, riech mal, spannend oder?“
Wir brauchen offene Menschen. Viele davon.
Bitte, ihr Toleranten, macht mehr Kinder! Gleich heute, huschhusch ins Bett oder auf den Tisch.
Aber reicht das Geld? Und wie wird sich die Welt entwickeln? Schwachsinn wegen der Überbevölkerung. Jajajaj. Dann macht halt einfach so Sex. Auch gut. Hauptsache was schönes.
In Indien habe ich gesehen, dass man Kindern zutraut irgendwo hochzuklettern, weshalb sie es dann als Erwachsene können.
Nicht Helm, Versicherung, Gurt.
Als wäre das Leben nicht hauptsächlich das Vermeiden vom Tod.

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Nichts hat mich so beeindruckt und froh gemacht, wie im indische Verkehr zu sein, der darum funktioniert, weil alle aufeinander Acht geben. Die grundsätzliche Einstellung, dass es ok ist, dass andere Lebenwesen auch existieren und sich bewegen, wie sie sich bewegen wollen. Die Abwesenheit von: „Muss der denn jetzt unbedingt da lang? Kann der denn nicht schneller, langsamer, anders fahren? Mehr so sein wie ich?“ Die Abwesenheit der Erziehungsblicke, der Erziehungsgeräusche, der Rechthaberei, der Regelwerke.
In Pune saß ich mit der Tochter in einem Tuk Tuk und wir wurden von hinten angefahren. Die beiden Männer unterhielten sich ruhig und fuhren weiter.
Das hat mich froh gemacht.
Auch das Winken und Hihi und Byby rufen.
kinder

Die Menschen sind überall die Menschen.

Der Betreiber der thailändischen Bungalowanlage ist ein junger Deutscher, vielgereist mit indonesischer Freundin. Er erzählt, dass er nach seiner ersten Weltreise nach Hause kam und Freunde sagten, er sei nun viel netter, kein Arschloch mehr.

Ich will ihn vorher nicht erlebt haben.
Er sagt, dass Thailänder nicht schreien. Wenn man schreit, verliert man den Respekt, aber er sagt, er ist Deutscher, wenn er sauer ist, dann schreit er. Dann drehen seine eigenen Angestellten sich um und gehen weg.
Dann schreit er noch mehr.
Als er das erzählt, lacht er.

Aber man muss sie anschreien, sie sind fucking lazy. Die Thais. Die Kambotschaner nicht, sagt er. Die arbeiten für weniger Geld und immer fleißig, die Kambotschaner. (Ich kann in Thailand auch nicht gut arbeiten, zu warm, zu schön. Fucking lazy. Vielleicht sollte ich zum Schreiben nach Kambotscha?)

Fuckig lazy Bauarbeiter mit fucking unsicherem Helm.

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fucking lazy Tankstellenfrau

 

 Arbeitsplatz mit Blick auf Meer.

arbeitsplatz

Wir nennen den Betreiber „der Sympath“.

Der Sympath sagt, dass Schwarze stinken, dass Thailänder einen kleinen Puller haben, dass Kinder nerven, Hunde in die Kehle gebissen gehören, dass Außerirdische hier waren, dass es nur halb so viele Juden waren, dass blablabla.
Er freut sich, dass Deutsche da sind, die er vollreden kann, als wären wir eine Mülltüte.
Leider ist seine Freundin ja gläubige Muslima, obwohl er ihr in einer halben Stunde erklären könnte, dass Religion Quatsch ist.
Jemand, der Recht haben will.
Warum sollte man jemandem seine Religion wegargumentieren?
Ich kann dir auch beweisen, dass Kekse nicht schmecken, dass Kekse doch schmecken, dass dir Rot nicht steht, dass dir Rot ganz ausgezeichnet steht, dass Tanzen ungesund ist und Rauchen gesund, dass das Leben bekloppt und großartig ist, jämmerlich und viel zu überbewertet (vor allem das eigene).Der Sympath hat zu allem eine Meinung. Der Islam, die Juden. Kindererziehung. Die Linken, die Rechten. Die Flüchtlinge.
Was weiß er denn von hier aus über Deutschland?
Was weiß er überhaupt?

Wer weiß überhaupt was?

regeln

Andere Länder, andere Regeln: keine Zigaretten, keine Durian, keine Getränke, keine Hunde, kein Korpulieren oder Ringen, keine Waffen, keine Ziege im Auto.

Das interessanteste am Reisen ist, dass alles von woanders ganz anders aussieht. Vor dem Losfahren denke ich: „Komisch, wie wird es mir dort gehen, wenn Tag Nacht ist und Winter Sommer?“
Aber sobald ich da bin, spielt es gar keine Rolle, denn es ist ja jetzt so wie es ist, wo man ist.
Ich denke jetzt: „Wie wird es sein anzukommen in Tegel und es ist kalt?“
Aber wenn ich da bin, wird es wohl normal sein.
Soll heißen: Du bist nur da, wo du bist. Und das solltest du nie vergessen.
Du weißt nur, was du weißt.
Du denkst nur, was du denkst.
Du verstehst nur, was du verstehst.
Nur weil es alles ist, was in dein Kopf passt, ist es nicht viel.
Dein Standpunkt ist winzig, denn nur du stehst dort.
Verblüffend, oder?
Deine Weltsicht kann nie die ganze Welt sehen. Deine Weltsicht ist ein Standpunkt, von dem aus du in nur einen Teil der Welt sehen kannst. Wie beschränkt das ist.
Und sobald du das vergisst, verblödest du völlig.
Das war ein Selbstgespräch mit mir. Wer sich angesprochen fühlt, der kann das gerne tun.

Der indische Reiseleiter Danesh sagte, dass sie in Indien schon lange wissen, dass die westliche Welt ihre Lebensart übernehmen wird. Und es geht ja auch los: Yoga, das vegetarische Essen, die Gewürze, die Spiritualität.

Nach dem Bestseller „Darm mit Charme“ wissen wir auch, dass die Inder gesünder kacken. Denn die Toiletten „Indian Style“, wie es draußen dran steht, sind im Vergleich zum „Western Style“ einfach besser für Hygiene, Umwelt und Verdauungsapparat.

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Danesh sagte sogar, dass arrangierte Ehen glücklicher sind und Eltern besser wüssten, welcher Partner geeignet sei und vor allem, welcher ungeeignet sei.
Kann sein, kann nicht sein.

Ich habe kein Fazit, denn hätte ich eins, müsste ich ja aufhören zu denken.
Für mich ist es ok, dass es beides gibt und auch tausend andere Varianten glücklich oder unglücklich zu sein.
Darüber könnte ich noch tagelang schreiben.

Für heute erstmal genug.

Ich muss unsere Rucksäcke packen. Habe ein paar Mitbringsel.

Bis gleich, Deutschland.

sonnenuntergang

4 Kommentare

  1. Mir war so, als wärt ihr gerade erst aufgebrochen.
    …ein so angenehmes Gedankenspiel habe ich lange nicht mehr gelesen, es wirkt beinahe beruhigend. Gute Heimreise und keine Sorge, ihr bringt bestimmt viel Warmes ins Kalte mit, das wärmt.

  2. Ach wie schön…wir ticken immernoch Stereo. Und wir habens getan ;). Bis bald zum Mumelditschen

  3. Hallo thé, ja, es ging viel zu schnell vorbei. Für mich auch. Inzwischen bin ich ganz gut wieder hier (auch innerlich). das ist schön, dass meine Gedanken beruhigend wirken, mir fiel der Beitrag sehr schwer, weil ich kaum die tausend Gedanken unter enen Hut bekommen habe. (Der Fehler war vielleicht der Hut? Ohne Hut ging es dann.) Liebe Grüße, Kirsten

  4. hallo SID! Mumelditschen? Hilf mir mal!

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