Das Quirlen des Milchozeans. Häh?

Hey, Berlin!
Du kalte Sau. Klingt auf Deutsch gar nicht wie ein Kompliment.

Aus dem Flugzeugfenster sieht das Kind das kalte Weiße, und anders als einige Erwachsene, die im Winter in wärmere Länder fliehen, liebt das Kind „SCHNEE! SCHNEE!“ (ruft es).
Kann ein Sicherheitsgurt soviel Begeisterung aushalten?

landung3

Ganz so ist mir innerlich nicht. Aber eher wegen der allgemeinen Kälte, die ich im Anflug dem Heimatland unterstelle. Ich will nicht zurück nach Hause, in die alten Denkstrukturen.
„Ich will raus“, sagt das Kind.
„Wir müssen doch erst landen.“
„Aber dann will ich sofort in den Schnee.“
„Wir müssen im Flughafen erst noch ein paar Sachen drüber ziehen, damit wir nicht frieren.“
(Was wir schon wieder alles müssen. Ich versuche oft andere Formulierungen zu finden. Es wäre besser, wenn wir … Wir sollten erst … Bestimmt wollen wir …)
„Ich friere nicht. Niemals!“, ruft das wilde Kleine. „Ich werde mich nackt reinwerfen.“

kalt

Die schlafenden Bänker ringsum tun so, als ob sie schlafen. Sie fliegen sehr früh am Morgen von Frankfurt nach Berlin. Vielleicht jeden Morgen. Das Flugzeug (bzw. der Flieger, wie Vielflieger angeblich sagen, die heißen ja auch nicht Vielflugzeuger.) ist ihr Arbeitswegverkehrsmittel. Vielleicht haben sie eine Monatsmarke.
Ich tu so, als würde ich aus dem Fenster fotografieren.
Das Kind tut so, als würde es verrückt werden, wenn es sich nicht sofort in den Schnee schmeißen kann.
So tun wir alle so.

bänker

Wir sind vor 30 Stunden in Ko Chang in Thailand aufgebrochen. Mit der Fähre von der Insel, dann mit einem Tuk Tuk zum Flughafen und von Trat nach Bangkok. Trat ist mein neuer Lieblingsflughafen. Er ist winzig, hat Hecken in Elefantenform und wenn man durch die Sicherheitsschleuse ist, kann man kostenlos essen und trinken. Kokosnussmilch aus echten Kokosnüssen, thailändische Verrücktheiten in Bananenblätter eingewickeln, Pralinen.

Außerdem kann man Männer mit Thaifrauen beobachten. Jedesmal schaue ich so lange hin und wieder weg, bis ich mir beides vorstellen kann, nur um meine Vorstellungskraft zu trainieren: Er hat sie bezahlt, sie liebt ihn nicht ODER sie haben sich kennengelernt und lieben sich (alle denken immer, dass er sie bezahlt hat).

Pärchen eins:
Sie waren schon mit auf der Fähre. Viel Zeit, sie zu beobachten. Ein Mann, den ich als Sachse besetzen würde, würde ich Castings für Filme durchführen und einen Sachsen suchen. (Würde, Würde, genau es geht um Würde. Sachsen haben einen viel zu schlechten Ruf und jetzt verdienen sie ihn sich. Seit dem letzten Jahr erzähle ich überall, dass ich in Sachsen geboren bin, denn niemand soll vergessen, dass diese Vorurteile in keine Richtung eine gute Idee sind. Weder „Flüchlinge sind …“ noch „Sachsen sind …“)
Es muss eine deutsche Komödie sein, denn die Kostümfrau hat ihm auch noch so einen Schnauzer, einen Angelhut und so ein Touristenshirt verpasst. Palme vorne, Elefant, Thailand. Die thailändische Frau versucht ihm zuzuhören. Sein Englisch ist nicht so gut und vielleicht würde es sie in keiner Sprache interessieren. Es gibt keine Berührungen.

trat4

Pärchen zwei:
Er sieht aus wie Woody Harrelson. Natürlich denke ich darüber nach, ob er in seinem Land eine so attraktive Frau an seiner Seite haben könnte. Sie ist sehr schön. Vor allem, wenn sie lächelt und sie lächelt viel. Sie zeigt ihm was auf ihrem Smartphone. Er lächelt auch. Sie berühren einander und mich berühren sie auch.
Hat sie einen gewissen Frieden mit ihrem Beruf und mit einigen Kunden? Oder ist sie gar nicht? Ist er auch nicht? Nie weiß man etwas. Das Nichtwissen bleibt eine meiner größten Inspirationen.

trat3

Toll ist, dass für das Kind weder Pärchen eins noch Pärchen zwei anders ausseht als Pärchen drei oder vier auf dem Flughafen.
Ich freue mich über jeden alten Mann, der seine alte Frau dabei hat.

Thailand von oben
Palmen und Reisfelder.

Bangkok Aiways ist die erste Fluglinie, auf deren Piktogrammzettel der Mann (vermutlich) dem Kind hilft. Auch wenn er dabei sein Gesicht verliert.

flugpiktogram

In Bangkok haben wir 12 Stunden Aufenthalt. Wir schauen Filme, malen, lesen, basteln uns Karten, weil wir keine dabei haben und spielen damit. Wir kaufen seltsames Essen, fahren mit dem Gepäckwagen herum. Ich summe „One Night in Bangkok“.

Wir machen wie alle anderen auch Fotos von der großen Skulptur. Unschwer zu erkennen: Das Quirlen des Milchozeans mit Hilfe der Schlange. Die Geschichte gehört zum Schöpfungsmythos der Hindus. Wenn man es weiß, weiß man es. Ich wusste es nicht und versuchte die englische Infotafel zu übersetzen. Musste das Kind vertrösten mit: „Wir schauen zu Hause nochmal nach oder fragen Tante Internet“ (wie sie bei uns heißt).
Ebenso berechtigte Fragen vom Kind: „Warum steht das hier in Bangkok? Ich denke, das sind Buddhisten und nicht Hindus?“
Das Kind interessiert sich übrigens immer sehr für Dinge, die ich nicht genau weiß. Es ist spannend über etwas erst einmal nachzudenken, Vermutungen anzustellen und später zusammen auf die Suche nach Antworten zu gehen.
Zum Wissenwollen gehören erstmal Fragen.

milchozean2

Wir saucoolen Weltreisenden. Cowboygeräusch.
Alles, alles hat geklappt in den fremden, fernen Ländern. Einmal große Kotzerei im Nachtzug nach Chiang Mai (das wird wohl eine feine Kurzgeschichte werden.)
Nachdem alles geklappt hat, verpassen wir in Frankfurt das Flugzeug. Ich sitze am Nachbargate, denn dort fliegt auch ein Flugzeug nach Berlin. Die fliegen morgens mit 30 Minuten Abstand. Wer rechnet denn damit?
Man informiert die verwirrte, müde Mutter mit hopsendem Kind, dass das normalerweise sehr, sehr viel Geld kostet umzubuchen, dass der Flieger ausgebucht sei und dann geht es doch. Kostet nicht mal was.
Der große Rucksack nimmt noch einen Flieger später und ist am Ende aber auch in der berliner Wohnung.

Ich hatte keinen Probleme wegen der Zeit und auch nicht wegen der Kälte. Ich hatte einfach so Probleme, wieder hier zu sein. Darüber schreib ich bestimmt nochmal. Postindientraurigkeit. Und die Ödniss der bekannten Stadt (auch wenn sie so interessant und lebhaft ist wie Berlin, die kalte Sau).

tegel

Am 28.02. gehts nach Afrika.

5 Kommentare

  1. Liebe K,
    macht Spass das zu lesen!
    Danke
    I.

  2. Liebe I. oder lieber I.
    Dein Komentar macht Spaß zu lesen. Danke!
    K.

  3. Schließe mich I. an!

  4. Mehr! Mehr!
    Bald! Bald!

Kommentare sind deaktiviert.