Alles ist so schön fremdisch, sagt das Kind.
Es ist anregend, irre und großartig hier zu sein. Überall was zu sehen und überall was zum denken. Die Indienreisenden reden sehr viel über das Leben, die Welt, das Glück.
Die Rundreise endete genau in dem Hotel, in dem sie gestartet ist. Jaypee Siddarth (den Namen habe ich als erste Kontaktadresse mindestens viermal auf den Visumantrag geschrieben, weil sich zwischendurch die Verbindung aufgehängt hat. Und ich kann mich erinnern, wie es sich angefühlt hat „davor“ zu sein, nach welchen aufregenden Verheißung „Jaypee Siddarth“ klang. Und dann hatte ich mir die schönen Bilder im Internet angesehen: ein schönes Hotel, ein schöner Garten, ein tolles Buffet. Von dem kleinen Lager der armen Familien auf der Verkehrsinsel keine Bilder. (Ich könnte meine zur Verfügung stellen.)
Wir hatten anstatt dem Zimmer 405 das Zimmer 407. Der Blick war der selbe. Die kleine belebte Verkehrsinsel mit der einen Familie.
Ich habe mich gefreut sie wiederzusehen. Die Rührung überkam mich, aber noch bevor ich mich zu sehr freute, tauchten dreckige Kinderköpfe am Autofenster auf, sehr dreckige Kinder und sie klopften an das Auto und schoben ihre Hand mit nichts darin zum Mund.
Es sieht zwar aus, als ob sie etwas zu essen wollen, sie wollen aber lieber Geld. Wie enttäuscht war die Bettlerin in Agra, als ich ihr das Lunchpaket aus dem Hotel gab.
Es ist ein Elend mit dem Elend.
Sie wollen Geld und wenn man ihnen welches gibt, wollen sie mehr Geld und sie holen alle Verwandten und Bekannten und sie kommen gerannt mit den Kindern auf dem Arm, quer über die Kreuzung, halten die Kinder hoch und rufen „Baby“ und „Hallo!“. Einige ältere Kinder rennen neben dem Bus her. Die Motorräder weichen ihn aus und hupen.
Von Nahem sind die dreckigen Kinder auch nach zehn Tagen Indien immer noch sehr nah.
Aus dem Hotelzimmerfenster sieht das Kind zu, wie die Kinder unten mit einem Welpen spielen. Er hüpft und purzelt wie alle Welpen auf der Welt hüpfen und purzeln.
„Niedlich“ und „Ohh“ rufen wir.
Wir fragen uns, ob sie den Hund behalten, ob es einer der Hunde in Indien sein wird, die zu Menschen gehören, die einen Namen und ein Halsband bekommen. Wollen sie ihn durchfüttern, nützt er ihnen? Wir wissen nichts über Indien.
Wir hatten vorher drei Fragen und jetzt tausende.
Wir skypen mal wieder mit Zuhause. Der Hund wird gerufen, damit wir ihn sehen. Ihm bringt das nichts. Wir rufen seinen Namen. Er kuckt blöd. Der Mann erzählt, dass der Hund im Kinderzimmer unterm Hochbett schläft. Das Kind freut sich. „Das darf er“, ruft sie, „das darf er. “
Ich gehe einmal wieder einen meiner Lieblingsgedankengänge entlang. Die Galerie der Absurdität. Im Gedankengang hängen sich Bilder gegenüber. Auf der einen Seite Abbildungen von geliebten Hunden: Felix, Trixi, Tyson, Körbchen mit Schafsfell, Futter aus Kuh, Kauzahnbürsten, Hüftoperation, Regenmantel, Leine aus Ziegenleder. Auf der anderen Seite des Gedankenganges hängen Bilder von dreckigen Kindern, kranken Kindern, Flüchtlingskindern, aber auch von Erwachsenen. Von Menschen, für die angeblich kein Geld da ist und kein Platz. Es gibt keinen Ausweg aus dem Gang. Die Bilder werden nicht umgehängt oder gemischt. Er ist nur zum Hin- und Herlaufen und staunen, sich wundern.
Wir treffen im Hotel die Familie wieder, die wir in Jaipur an die Indienübelkeit verloren haben. Zuerst hatte es den Sohn erwischt, dann die Mutter, dann Bekki, die neue Freundin vom Kind.
Jetzt ist das große Wiedersehen mit Becki, aber sie dürfen sich nicht berühren und zu nahe kommen, denn Bekki hat erst in der vergangenen Nacht einmal quer über den Rezeptionstresen gespuckt.
Da wir noch viel vor uns haben (Pune, Thailand) und keine Erkrankung brauchen, wird die moderne Form von Romeo und Julia aufgeführt. Sie heißt „Die beiden Mädchen in Delhi“. Sie lieben sich, aber dürfen nicht miteinander spielen. Sie schieben sich Zettel unter der Hotelzimmertür durch.
Am Abend findet das letzte Essen mit der Reisegruppe statt. Die Ansteckenden kommen nicht mit. Wir sind euphorisch („Ja, wir haben es gemacht. 11 Tage Indien!“) und natürlich sind alle traurig.
Die Erwachsenen weinen etwas und tauschen Adressen (nicht die, wo man wohnt. Sondern die, wo man im Internet wohnt.)
Die Kinder knuddeln sich und machen Quatsch. Sie fragen die Eltern, wo wir nächstes Jahr hinfahren und ob alle wieder mitkommen.
super artikel. danke. weiterhin gute reise!
Dankeschön! 🙂
Macht mir Spaß, mit Dir zu reisen. Und diese Farben! Hach.
Liebe Grüße, Suza